ms franz
Richard Klammer - Trompete, Stimme
Zwei ganz unterschiedliche und dennoch im Grunde verwandte Charaktere bilden das Fundament dieser musikalischen Revue, die zugleich eine Zeitreise vom 19. ins 21. Jahrhundert ist: Franz Schubert und Franz Mika. Den Einen braucht man nicht vorzustellen und dennoch verwundert es, dass zeitgenössische Wiener Komponisten und Improvisatoren zwar immer wieder auf Johann Strauß zurückgreifen, ihn, den in jedem dritten Wienerlied liebevoll als Franzl Titulierten aber kaum anrühren. Der Andere ist so gut wie unbekannt und war dennoch ein begnadeter Volkskünstler, der vor allem in der Zwischenkriegszeit seine größten Erfolge feierte. Schlosser von Beruf, hatte er nicht nur die Energie, unzählige Gstanzln zu schreiben und diese, meist zusammen mit einem Duopartner, abends vorzutragen, sondern seine Werke auch noch im Eigenverlag herauszubringen. Was mich an Mika fasziniert, ist die völlige Absenz von wehleidiger Weinseligkeit, falscher Todessehnsucht, peinlichem Wien-Chauvinismus, allesamt vermeintliche
Grundingredienzen der Wiener Seele. Seine Texte sind geradlinig, proletarisch, unsemtimental und oft sehr direkt erotisch. Er hebt sich damit weit über das Niveau eines „Humoristen” in die Sphäre des Künstlerischen hinaus, auch wenn er genau wusste, was er seinem einfachen Publikum schuldig war. ms franz / programm
kosmos lutoslawski Oskar Aichinger, piano solo Das Werk des großen polnischen Komponisten Witold Lutoslawski (1913 - 1994) beschäftigt mich schon seit vielen Jahren. Vor allem seine erstmals in ”Jeux vénitiens/venezianische Spiele” (1961) angewandte Technik der von ihm so genannten „begrenzten Aleatorik” war und ist für mich eine wichtige Wegmarke in meinem eigenen kompositorischen und improvisatorischen Handeln. Dieses Prinzip des limitierten Zufalls bedeutet eine partielle Entmachtung des Komponisten und damit eine Aufwertung der MusikerInnen als mitkomponierende Individuen. Dabei kommt es aber nie zu einem Kontrollverlust auf Seite des Komponisten: Zeit- und Materialvorgaben regeln den Fluss der Komposition und determinieren so die vom Komponisten intendierte Dramaturgie. Lutoslawski nannte die so entstehenden Gebilde in seinem Streichquartett (1964) „Mobiles”. Sie funkeln und strahlen in den unterschiedlichsten Licht- und Farbnuancen, lösen einander ab oder überlagern sich, bilden so immer längere Molekülketten, die letztlich zur großen Form koagulieren. In den Mikrokosmen der Mobiles wuchern die unterschiedlichsten Wiederholungspflanzen, scharfe Schnitte unterbrechen oft ihr selbstvergessenes Tun, schaffen Raum für den nächsten Dschungel, Abgrund oder eisigen Berggipfel. Und wie durch Zauberhand entsteht der Kosmos einer in sich stimmigen Komposition. Anthony Braxton konstatierte nach seinen ersten Solokonzerten. dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt begann, sich selbst zu wiederholen, und zwar nicht in einer kontemplativen Weise, sondern in einer ihn selbst enervierenden Art. Mir ist es ganz ähnlich ergangen, ohne den befruchtenden Input und die spezielle Aura einer Band kommt freie Improvisation oft schnell zu einem point of no return, an dem die ursprüngliche Freiheit in ein selbst gebautes Gefängnis umschlägt. Nach der Art der Lutoslawskischen Mobiles zu agieren, bedeutet für mich eine Befreiung von der Freiheit. Durch waches Üben etabliert sich eine innere Uhr, die die Dauer der Mobiles wie von selbst kontrolliert, die Grundkoordinaten sind festgelegt, ein Ausbrechen ist aber jederzeit möglich, da mich ja niemand als ich selbst daran hindern kann. Durch einen Auftrag des Polnischen Instituts in Wien, für den ich dankbar bin, verwende ich auch tatsächlich Material von Lutoslawski, und zwar aus fast allen Schaffensperioden: Variationen über ein Thema von Paganini (1941), Folk Tunes (1945), Jeux vénitiens (1961), Streichquartett (1964) und Epitaph (1979). Das bisher einzige Konzert (Stadtinitiative Wien, 5.11.04) war für mich ein beglückendes Erlebnis und damit zugleich ein Auftrag, weiterzumachen. Eine Tournee durch Polen samt einer CD-Aufnahme im Lutoslawski-Studio in Warschau ist in Planung. synapsis
Oskar Aichinger - piano, electronics, composition Eine Hellsichtigkeit, die sich einstellt, wenn Gerhirnströme, Nervenbahnen, die voneinander isoliert waren, miteinander verbunden werden und plötzlich Strom fließt. Eine Stimmung, die sich über die ganze Produktionsphase dieser CD hinweg immer mehr verdichtet hat und zu einer Gewissheit wurde, dass hier etwas zusammengekommen ist, Divergentes sich amalgamiert hat in einer Art von biochemischem Prozess: verschiedene Erinnerungen an die Geschichte, Elektronik mit herkömmlichen Instrumenten, die Positionen der beteiligten Musiker. So hat sich schließlich „Synapsis” als sanfter und zugleich bestimmter Titel über diese Musik gelegt, mehr eine Schwingung denn ein Bild, ähnlich der kosmischen Hintergrundstrahlung, kaum wahrnehmbar, aber stets präsent.
Clarence, der schielende Löwe aus der Fernsehserie „Daktari”, stand Pate für das erste Stück, ein wildes Tier, aufgrund seines Defektes unfähig, Situationen zu erkennen und „richtig” einzuschätzen, für mich in meiner Kindheit ein erstes, frappierendes Sinnbild für das Problem der Wahrnehmung, wenn man so will, ein erstes Auftauchen der lebenslangen Frage: wie wirklich ist die Wirklichkeit? du holde kunst oder abends spucke ich meine Lunge aus
Oskar Aichinger: Rezitation, Gesang, präpariertes Klavier
Rund die Burgen Kirschgeblüt, luften Menschkleid drin (W.V.Wizlsperger) Kleine Großkunst, große Kleinkunst, kreisend um die Themen Liebe, Gewalt und Tod. Zwei Alleinunterhalter privatisieren das Gelächter, das Geklatsche der Unterhaltungsempfänger beruhigt sich zu Beifall. Musik, komponiert und improvisiert, vom Jazz bis zur steirischen Zepperlpolka, vom Schlager bis zu neuen Klängen. Ein dichtender Entertainer und ein ernster Komponist, die zusammen auf bekanntem Terrain Neuland erkunden. Ein Versteckspiel zwischen Exponiertheit im Gesang und Versinken in der Musik. Die x-te Neuauflage der Peinlichkeit, Musik und Poesie zu verbinden. Die offene Mündung des Publikums, die Schwingung des Raums, das Surren der Klimaanlage, wenn für Sekunden gar nichts passiert, bis der Lärm der angehaltenen Luft sich in ein Lächeln verflüchtigt. aichinger/koglmann
Oskar Aichinger, Klavier Der Titel des Albums ist doppeldeutig und doppelt zutreffend: "The Bridal Suite" ist eine Hochzeitssuite fürs Brautgemach. Als Hochzeitsgeschenk entstanden ("Wives and Lovers"!) spielen sich Oskar Aichinger (Klavier) und Franz Koglmann (Flügelhorn) durch circa viereinhalb jener Liebesdramen, wie sie Burt Bacharach in Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Texter Hal David in unverwechselbaren Songs voller raffinierter Harmonien und bittersüßer Melancholie komprimiert hat. Nicht zu Unrecht hat erst unlängst Jarvis Cocker (Pulp) Bacharach/David zum genialsten Songwriter-Duo des vorigen Jahrtausends erklärt und nicht zufällig umfasst die Legion der Bacharach-Interpreten so unterschiedliche Musiker wie Mel Tormé und The Stranglers, Dusty Springfield und Issac Hayes, Dionne Warwick und The White Stripes. Aichinger und Koglmann reihen sich würdig ein in die Legion berühmter Interpreten: romantisch, ironisch, melancholisch und brachial, aber immer mit hörbarem Respekt vor der Substanz und Eleganz dieser wundervollen Musik. (Nüchtern) |